Nichts bleibt gleich
Januar 2009
Das Institut für Raumexperimente ist selbst ein Experiment. Für mich ist das Experiment als Format zur Untersuchung notwendig, wenn wir auf einer konstanten und prüfenden Interaktion mit der Realität bestehen wollen. Oder anders ausgedrückt: Indem wir experimentieren, können wir die Normen hinterfragen, nach denen wir leben und somit Wirklichkeit herstellen.
Wegen ihrem Hang zu vorwiegend formalen Fragen hat die KünstlerInnenausbildung, glaube ich, insofern versagt, als dass sie nicht anerkennt, dass Kreativität Wirklichkeit herstellt. Die hierarchische Wissensvermittlung, die in vielen Kunsthochschulen praktiziert wird, ist eindeutig unproduktiv: Die unflexiblen Kategorien von „Lehrenden“ und „Studierenden“, die in einer abgeschotteten Umgebung arbeiten, sowie die grundsätzlich ungleich gewichteten Beziehungen zwischen beiden, haben den Studierenden Verantwortung abgenommen und sie von echter Arbeit im echten Leben distanziert. Aber zu studieren und Wissen zu produzieren sollte keinen Rückzug aus der Gesellschaft implizieren.
Es gab und gibt da natürlich Ausnahmen. Innerhalb der Geschichte der räumlichen Forschung gab es immer wieder experimentelle Ausbildungsmodelle, beispielsweise am Center for Advanced Visual Studies am MIT, gegründet von Gyorgy Kepes auf der Grundlage seiner Auseinandersetzung mit der New Bauhaus School in Chicago; in der Arbeit von Joseph Albers und seinen Unterrichtsmodellen am Black Mountain College; in O.M. Ungers Lehrveranstaltungen an der Technischen Universität Berlin in den 60er Jahren, am von Pontus Hultén mit Daniel Buren, Serge Fauchereau und Sarkis gegründeten Institut des Hautes Etudes en Arts Plastiques in Paris; und in der Arbeit anderer Pioniere, für die Leben, individuelles Engagement und Studium nicht einfach voneinander getrennt werden konnten. Mein Ziel ist es, ihre radikalen Ideen des Lernens in unsere heutige Gesellschaft zu übertragen.
Die Ausbildungsalternative, die ich anbieten möchte, soll das Werkzeug für künstlerische Vorschläge liefern, die Konsequenzen für die Welt haben. Wir müssen uns bereitwillig Neuevaluation, Kritik und Reibung zu eigen machen. Wenn wir die von traditionellen Kunsthochschulen kultivierte repräsentative Distanz zur Welt hinter uns lassen, können wir eine notwendige und direkte Beziehung zu ihr aufbauen.
Das Experimentieren als Methode prägt nicht nur mein Institut, sondern bildet auch das Zentrum meiner Kunstwerke und meines Berliner Ateliers.
Meinem Verständnis nach ist ein Kunstwerk grundsätzlich mit seiner Umgebung verbunden, mit der Gegenwart, der Gesellschaft und den kulturellen und geografischen Determinanten. Es aktiviert diese dicht vernetzte Struktur und untersucht somit die Welt, in der wir leben – und kann dadurch letztendlich auch die Welt verändern.
Es scheint mir außerdem relevant zu sein, die pragmatische Seite der Organisation meines Ateliers zu untersuchen, ihre Zufälligkeit und indirekten Wege. Dies offenbart eine Struktur, die ständig das Modell, nach dem sie verfährt, neu erfindet. Die Praxis, die ich entwickelt habe, lässt mich an meine Arbeiten und mein Atelier als in der Welt Handelnden glauben. Und genau wie meine Arbeiten und mein Atelier in einem ständigen Dialog mit ihrer Umgebung stehen, mit der Zeit, in der sie existieren, so tut dies auch das Institut. Das Institut für Raumexperimente ist kein abgeschlossener Raum, es lässt sich nicht von seiner Umgebung trennen, von Berlin, von der Gesellschaft und dem Leben im Allgemeinen. Man könnte daher das Institut als eine logische Konsequenz meiner künstlerischen Praxis bezeichnen.
Am Institut für Raumexperimente werden Zeit und Raum auf einer methodologischen Ebene als untrennbar betrachtet. Raum lässt sich nicht externalisieren; er ist nicht repräsentativ, und die Experimente, mit denen wir arbeiten, sind es auch nicht. Räumlich zu arbeiten bedeutete nicht unbedingt repräsentative Distanz zu schaffen und wir können genau diese Distanz vermeiden, die statisch und unproduktiv ist, indem wir darauf bestehen, dass Zeit ein Bestandteil von Raum ist. Oder, wie eine Freundin einmal gesagt hat: „Raum ist eine sich ständig verändernde Gleichzeitigkeit von bisherigen Geschichten.“
Instituieren bedeutet etwas anzufangen, und beim Institut – das ein Bewusstsein von Zeit kultiviert – geht es um Anfänge im Raum. Ich möchte eine Schule der Fragen und nicht der Antworten gründen, eine Schule der Unsicherheit und des Zweifels. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir eine Beziehung mit diesen instabilen Weisen des Seins pflegen können und Fragen neue Fragen erzeugen lassen. Zurzeit erscheint es produktiv, die eigene Unsicherheit zuzugeben, statt nach einer rationalisierten und standardisierten Verstehensweise weiterzumachen. Indem wir Unsicherheit Raum geben, stärken wir unsere Fähigkeit, unsere Umgebung neu zu verhandeln. Lassen Sie mich deshalb ein Prinzip vorschlagen: Der Erfolg eines Modells liegt in seiner Fähigkeit, sich immer wieder neu in Frage zu stellen und zu bewerten. Dadurch wird klar, dass uns am Ende unserer Nachforschungen keine künstlerische Formel erwartet.
Genau wie die Zeit sich nicht vom Raum trennen lässt, so kann man auch Form nicht vom Inhalt trennen. Kunst ist keine formale Übung. Für mich bilden Dauer, Raum, Form, Absicht, und individuelle Auseinandersetzung einen Komplex, dessen performativen Eigenschaften wir artikulieren und die wir verstärken sollten. Aus diesem Grund wird unser Experimentieren mit dem Experimentieren als Format für die Herstellung von Kunst und Wissen sich nie entweder ausschließlich auf Form oder auf Inhalt konzentrieren.
Ich hoffe, die TeilnehmerInnen am Institut für Raumexperimente werden das Potential in unserer Formierung von vielfältigen gleichzeitigen Entwicklungslinien sehen. Einigen werden diese Entwicklungskurven langsam erscheinen, anderen schnell, und es ist genau mein Ziel, eine hohe Ebene an individueller Reflexion zu fördern. Letztendlich ist die Idee, das Konzept der Schule als Prozess zu erkunden. Indem wir das tun, können wir hoffentlich die negativen Strömungen der heutigen Marktwirtschaft umschiffen: Indem sie unsere Denkprozesse zu Waren macht, besteht diese Ökonomie auf einer linearen Art der Auseinandersetzung mit unserer Umgebung, auf Linearität unseres Verständnisses von Prozess und Geschichte. Marktfähigkeit, Konsum und Erfolg sind alles. Der verführerische Vorzug einer stabilen Form liegt in ihrer unveränderlichen Beschaffenheit, die wiederum zum Kriterium für Erfolg wird. Dies finde ich kontraproduktiv für die Reibung, die es der Kunst erlauben könnte, in der heutigen Gesellschaft Einfluss auszuüben. Für mich bleibt nichts gleich. Nur auf diese Art, kraft des Experiments, können wir die Gesellschaft ko-produzieren und der Stimme der Kunst Aufmerksamkeit verleihen. Und wenn sie dies nur realisieren würde, hätte die Kunst ein unglaubliches Potential, die in der Gesellschaft verwurzelten Werte zu beurteilen. Sie kann eine nicht-normative Plattform bilden und einen Gemeinschaftssinn schaffen, auf der Grundlage der Tatsache, dass wir uns alle voneinander unterscheiden. Gemeinschaft auf diese Art zu definieren ist heute die eigentliche Herausforderung.
Die Art von Programm, die wir am Institut für Raumexperimente schaffen wollen, ist ein sich entfaltendes makroskopisches Modell einer ästhetischen und gesellschaftlichen Begegnung. Das Leben des Instituts wird dialogisch sein, eine Vielfalt an Stimmen. Ich hoffe, die TeilnehmerInnen des Institutes – und zwar „Lehrende“ und „Studierende“ gleichermaßen – werden in die Kakophonie einstimmen, die seinen eigentlichen Kern darstellt. Geben und Nehmen ist gleichmäßig verteilt. Inspiration ist für alle. Was wir in dieser Begegnung produzieren werden, ist Wirklichkeit. Es wird ein Labor der Erfahrung sein, aber wahrscheinlich werden wir dieses Experiment erst rückblickend als ein Modell betrachten.
Das Institut für Raumexperimente ist eine öffentliche Einrichtung, realisiert in Zusammenarbeit mit der Universität der Künste in Berlin. Es ist weder ein Avantgarde-Institut im klassischen Sinne, das einen Bruch mit allen vorherigen Systemen anstreben würde, noch ist es eine private, karriereorientierte Ausbildungsstätte. Vielmehr sind wir Unterstützer langsamer Revolutionen. Wenn entscheidende Veränderungen auf einer mikroskopischen Ebene stattfinden, kann sich mit der Zeit eine ganze Gesellschaft oder Weltsicht ändern. Und wenn unser Institutsexperiment glückt, können wir eine undogmatische Selbstkritikalität als Teil unserer Alltagsleben aufrechterhalten.
Olafur Eliasson