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Publikation
Tamura Yuichiro & Raul Walch: Marking Triangles
Herausgeber: Japanischen Kulturinstitut / The Japan Foundation, Köln im Rahmen der deutsch-japanischen Dialogausstellung Marking Triangles
Gestaltung: Alexandra Bruns
Text: Christina Werner
Sprachen: Deutsch / Japanisch
Umfang 160 Seiten
„Marking Triangles“ – Eine Reiseerzählung
Drei Punkte auf einer Fläche zu markieren und zu definieren, ermöglicht sie in Beziehung zueinander zu setzen. Yuichiro Tamura und Raul Walch stellen in „Marking Triangles“ Bezüge rund um den Globus her. Für diese Ausstellung verbinden sie – nur auf den ersten Blick willkürlich ausgewählte – Orte entlang ihrer Reiserouten durch Europa, Asien und Afrika. Es sind weitgespannte Dreieckskonstellationen, die sich über drei Kontinente auffächern und in verschiedenster Weise miteinander verbinden lassen: Tamuras Untersuchungen führen von Köln (Deutschland) nach Antsiranana (Madagaskar) und Tanegashima (Japan); während Walch Addis Abeba (Äthiopien), Tokio (Japan) und Marathon (Griechenland) aufsucht. Ausklappen...
Drei Punkte auf einer Fläche zu markieren und zu definieren, ermöglicht sie in Beziehung zueinander zu setzen. Yuichiro Tamura und Raul Walch stellen in „Marking Triangles“ Bezüge rund um den Globus her. Für diese Ausstellung verbinden sie – nur auf den ersten Blick willkürlich ausgewählte – Orte entlang ihrer Reiserouten durch Europa, Asien und Afrika. Es sind weitgespannte Dreieckskonstellationen, die sich über drei Kontinente auffächern und in verschiedenster Weise miteinander verbinden lassen: Tamuras Untersuchungen führen von Köln (Deutschland) nach Antsiranana (Madagaskar) und Tanegashima (Japan); während Walch Addis Abeba (Äthiopien), Tokio (Japan) und Marathon (Griechenland) aufsucht. „Marking Triangles“ steht auch in Zusammenhang mit dem klassischen Verfahren der Dreiecksmessung, der Triangulation, einer Messtechnik, die vor allem der Landvermessung und der Kartographie dient. Sie ermöglicht es, auch unbekannte oder unzugängliche Orte durch genaue Winkelmessung innerhalb von Dreiecken zu errechnen. Yuichiro Tamura und Raul Walch interessieren sich für ihnen noch unbekannte Orte, abseits ihrer üblichen Bezugssysteme. (...)
Raul Walch und Yuichiro Tamura halten auf ihren Reisen ganz bewusst Ausschau nach Bedeutungsträgern und Fundstücken, die über Knotenpunkte verschiedener Geschichten Zeugnis ablegen. Wenn sie uns Objekte, Bilder oder Videos mitbringen und uns die Geschichten anderer Orte vorstellen, verweben sie ganz aktiv diese Geschichtsfäden. Sie bedienen sich mitunter einer Art „Show and Tell“-Methode. „Show and Tell“ ist eine didaktische Übung und Grundlage für Vortragstechniken und das Erzählen, deren Ausgangspunkt stets das Zeigen von Objekten ist, anhand derer sich die Geschichte entspinnt. In variierender Anlehnung an diese Technik lädt Yuichiro Tamura das Publikum mit einer „Show and Smell“-Übung ein, in eine Geschichte einzutauchen, in der er Köln als Ort dieser Ausstellung in Dreiecksbeziehung zu Portugal und Japan setzt.
Köln, Deutschland
Like a Smell of Teen Spirit (2017) ist der Titel Tamuras Arbeit, die subtil Kräuter- und Zitrusaromen im Ausstellungsraum verbreitet. Zwei unterschiedliche Flakons des Echt Kölnisch Wasser laden zur Duftprobe ein. Bekannt als 4711, wird das Parfum ursprünglich nach der Konskriptionsnummer (einer Hausnummer, die nicht immer Rückschlüsse auf die örtliche Lage eines Gebäudes zulässt, sondern vorrangig nach anderen, häufig verwaltungs-dienlichen Kriterien vergeben wurde) des Stammhauses in der Glockengasse in Köln benannt. Das Original Eau de Cologne wird auch in Japan vertrieben, doch es riecht anders. Tamura lässt diesen Eindruck durch ein japanisches Labor überprüfen und bestätigen. Der Duft für den japanischen Markt wurde in Deutschland entwickelt und hergestellt und führt zusätzlich die Bezeichnung „Portugal“ auf dem Etikett. Was den Künstler fasziniert, ist die Frage, warum ein deutsches Team eine andere Duftnote für die japanischen olfaktorischen Gewohnheiten komponiert. Was veranlasst sie zu bestimmen, was in Japan als angenehmerer Duft empfunden wird? Welche Vorstellung von „dem anderem“ liegen zugrunde und welche Konditionierungen dessen, was als „exotisch“ wahrgenommen wird? Eine Ortsbestimmung in umgekehrte Richtung: Deutsche Entwickler, die sich gedanklich nach Japan versetzen, um sich eine Vorstellung von „dem anderem“ zu machen: Wir können nur annehmen, dass der japanische Produktname „Portugal“ den Geruch entfernter Länder, eine Note von Orangen und Mandarinen, und die Vorstellung von Reisen über die Weiten des Ozeans heraufbeschwören soll.
Und wieder sind wir bei der Geschichte der Entdeckungsreisen angelangt und damit bei der Geschichte der großen Seefahrernationen, in diesem Falle der Portugiesen. Es war Diogo Dias, der angeblich als erster Europäer 1500 seinen Fuß auf madagassischen Boden setzt, als sein Schiff auf der Gewürzhandelsroute nach Indien vom Kurs abgerät, und sein Landsmann Diégo Suarez, der 1543 in Madagaskar anläuft und nach dem die dortige Hafenstadt benannt wird, obwohl die Insel letztendlich nicht portugiesisch kolonialisiert wird. Doch die Geschichte endet nicht hier. (...)
Addis Abeba, Äthiopien
Und wieder brechen wir – dieses Mal mit Raul Walch – von Berlin aus auf: Er reist 2016 erneut nach Addis Abeba, Äthiopien. Dort stößt er auf eine weitere Dreiecksbeziehung, angestoßen durch ein verlassenes Denkmal: Es ist die Statue des äthiopischen Marathonläufers Abebe Bikila auf dem St.-Joseph-Friedhof der äthiopischen Hauptstadt. Bikila gewinnt am 12. September 1960 bei den Olympischen Spielen in Rom als erster schwarzafrikanischer Olympiasieger die Goldmedaille und legt die Strecke mit 2:15:16 Stunden in neuer Weltbestzeit als einziger Athlet barfuß zurück. Sein Sieg wird zum Triumph für einen ganzen Kontinent und es gelingt ihm 1964 seinen Olympiatriumph in Tokio zu wiederholen.
Als die Statue des Athleten auf dem Friedhof in Addis Abeba 2007 von Unbekannten mutwillig beschädigt wird, sind es ein japanischer Sportfotograf und der Direktor der japanischen Bildagentur Agence Shot in Tokio, die eine Fundraising-Kampagne organisierten. Drei Jahre nach der Beschädigung wird die restaurierte Statue wieder enthüllt. Heute jedoch ist der Friedhof neuen urbanen Strukturprojekten zum Opfer gefallen. Nur die Skulptur von Abebe Bikila trotzt den Veränderungen, unbeirrt scheint er seine Strecken zurückzulegen. Ebenso wie die Läufer in Raul Walchs Film In The Loneliness of the Long-Distance Runner (2017), die inmitten der Stadt auf dem Meskel Square – dem zentralen öffentlichen Platz in Addis Abeba – auf den Stufen trainieren, unberührt vom Verkehr, dem Bau der neuen Hochbahn und dem alltäglichen Betrieb rund um den Platz.
Tokio, Japan, und Marathon, Griechenland
Walch verschränkt im Film und der gleichnamigen Installation Bilder aus Addis Abeba mit Aufnahmen aus Tokio, rund um die besagte Olympia-Strecke. Und er reist zurück an den Ursprungsort der läuferischen Disziplin – nach Marathon in Griechenland. Er vermisst Distanzen, die im Sport physisch zurückgelegt werden filmisch, folgt Bewegungen der Menschen, dem Verkehrsfluss in den jeweiligen Städten. Das Überbringen von Nachrichten, das dem Mythos des Marathons zugrunde liegt, löst sich in der Durchkreuzung von Zeit und Raumachsen auf, wenn der Künstler visuell Eindrücke städtischer Strukturen in Addis Abeba, Tokio und Marathon verwebt, die sich ähneln und überlagern. Erkennen und Vergleichen wird zu einer Meditation über das Verbindende zwischen weit entfernten Orten. (...)
Textauszug
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Publikation
Tamura Yuichiro & Raul Walch: Marking Triangles
Herausgeber: Japanischen Kulturinstitut / The Japan Foundation, Köln im Rahmen der deutsch-japanischen Dialogausstellung Marking Triangles
Gestaltung: Alexandra Bruns
Text: Christina Werner
Sprachen: Deutsch / Japanisch
Umfang 160 Seiten
„Marking Triangles“ – Eine Reiseerzählung
Drei Punkte auf einer Fläche zu markieren und zu definieren, ermöglicht sie in Beziehung zueinander zu setzen. Yuichiro Tamura und Raul Walch stellen in „Marking Triangles“ Bezüge rund um den Globus her. Für diese Ausstellung verbinden sie – nur auf den ersten Blick willkürlich ausgewählte – Orte entlang ihrer Reiserouten durch Europa, Asien und Afrika. Es sind weitgespannte Dreieckskonstellationen, die sich über drei Kontinente auffächern und in verschiedenster Weise miteinander verbinden lassen: Tamuras Untersuchungen führen von Köln (Deutschland) nach Antsiranana (Madagaskar) und Tanegashima (Japan); während Walch Addis Abeba (Äthiopien), Tokio (Japan) und Marathon (Griechenland) aufsucht. Ausklappen...
Drei Punkte auf einer Fläche zu markieren und zu definieren, ermöglicht sie in Beziehung zueinander zu setzen. Yuichiro Tamura und Raul Walch stellen in „Marking Triangles“ Bezüge rund um den Globus her. Für diese Ausstellung verbinden sie – nur auf den ersten Blick willkürlich ausgewählte – Orte entlang ihrer Reiserouten durch Europa, Asien und Afrika. Es sind weitgespannte Dreieckskonstellationen, die sich über drei Kontinente auffächern und in verschiedenster Weise miteinander verbinden lassen: Tamuras Untersuchungen führen von Köln (Deutschland) nach Antsiranana (Madagaskar) und Tanegashima (Japan); während Walch Addis Abeba (Äthiopien), Tokio (Japan) und Marathon (Griechenland) aufsucht. „Marking Triangles“ steht auch in Zusammenhang mit dem klassischen Verfahren der Dreiecksmessung, der Triangulation, einer Messtechnik, die vor allem der Landvermessung und der Kartographie dient. Sie ermöglicht es, auch unbekannte oder unzugängliche Orte durch genaue Winkelmessung innerhalb von Dreiecken zu errechnen. Yuichiro Tamura und Raul Walch interessieren sich für ihnen noch unbekannte Orte, abseits ihrer üblichen Bezugssysteme. (...)
Raul Walch und Yuichiro Tamura halten auf ihren Reisen ganz bewusst Ausschau nach Bedeutungsträgern und Fundstücken, die über Knotenpunkte verschiedener Geschichten Zeugnis ablegen. Wenn sie uns Objekte, Bilder oder Videos mitbringen und uns die Geschichten anderer Orte vorstellen, verweben sie ganz aktiv diese Geschichtsfäden. Sie bedienen sich mitunter einer Art „Show and Tell“-Methode. „Show and Tell“ ist eine didaktische Übung und Grundlage für Vortragstechniken und das Erzählen, deren Ausgangspunkt stets das Zeigen von Objekten ist, anhand derer sich die Geschichte entspinnt. In variierender Anlehnung an diese Technik lädt Yuichiro Tamura das Publikum mit einer „Show and Smell“-Übung ein, in eine Geschichte einzutauchen, in der er Köln als Ort dieser Ausstellung in Dreiecksbeziehung zu Portugal und Japan setzt.
Köln, Deutschland
Like a Smell of Teen Spirit (2017) ist der Titel Tamuras Arbeit, die subtil Kräuter- und Zitrusaromen im Ausstellungsraum verbreitet. Zwei unterschiedliche Flakons des Echt Kölnisch Wasser laden zur Duftprobe ein. Bekannt als 4711, wird das Parfum ursprünglich nach der Konskriptionsnummer (einer Hausnummer, die nicht immer Rückschlüsse auf die örtliche Lage eines Gebäudes zulässt, sondern vorrangig nach anderen, häufig verwaltungs-dienlichen Kriterien vergeben wurde) des Stammhauses in der Glockengasse in Köln benannt. Das Original Eau de Cologne wird auch in Japan vertrieben, doch es riecht anders. Tamura lässt diesen Eindruck durch ein japanisches Labor überprüfen und bestätigen. Der Duft für den japanischen Markt wurde in Deutschland entwickelt und hergestellt und führt zusätzlich die Bezeichnung „Portugal“ auf dem Etikett. Was den Künstler fasziniert, ist die Frage, warum ein deutsches Team eine andere Duftnote für die japanischen olfaktorischen Gewohnheiten komponiert. Was veranlasst sie zu bestimmen, was in Japan als angenehmerer Duft empfunden wird? Welche Vorstellung von „dem anderem“ liegen zugrunde und welche Konditionierungen dessen, was als „exotisch“ wahrgenommen wird? Eine Ortsbestimmung in umgekehrte Richtung: Deutsche Entwickler, die sich gedanklich nach Japan versetzen, um sich eine Vorstellung von „dem anderem“ zu machen: Wir können nur annehmen, dass der japanische Produktname „Portugal“ den Geruch entfernter Länder, eine Note von Orangen und Mandarinen, und die Vorstellung von Reisen über die Weiten des Ozeans heraufbeschwören soll.
Und wieder sind wir bei der Geschichte der Entdeckungsreisen angelangt und damit bei der Geschichte der großen Seefahrernationen, in diesem Falle der Portugiesen. Es war Diogo Dias, der angeblich als erster Europäer 1500 seinen Fuß auf madagassischen Boden setzt, als sein Schiff auf der Gewürzhandelsroute nach Indien vom Kurs abgerät, und sein Landsmann Diégo Suarez, der 1543 in Madagaskar anläuft und nach dem die dortige Hafenstadt benannt wird, obwohl die Insel letztendlich nicht portugiesisch kolonialisiert wird. Doch die Geschichte endet nicht hier. (...)
Addis Abeba, Äthiopien
Und wieder brechen wir – dieses Mal mit Raul Walch – von Berlin aus auf: Er reist 2016 erneut nach Addis Abeba, Äthiopien. Dort stößt er auf eine weitere Dreiecksbeziehung, angestoßen durch ein verlassenes Denkmal: Es ist die Statue des äthiopischen Marathonläufers Abebe Bikila auf dem St.-Joseph-Friedhof der äthiopischen Hauptstadt. Bikila gewinnt am 12. September 1960 bei den Olympischen Spielen in Rom als erster schwarzafrikanischer Olympiasieger die Goldmedaille und legt die Strecke mit 2:15:16 Stunden in neuer Weltbestzeit als einziger Athlet barfuß zurück. Sein Sieg wird zum Triumph für einen ganzen Kontinent und es gelingt ihm 1964 seinen Olympiatriumph in Tokio zu wiederholen.
Als die Statue des Athleten auf dem Friedhof in Addis Abeba 2007 von Unbekannten mutwillig beschädigt wird, sind es ein japanischer Sportfotograf und der Direktor der japanischen Bildagentur Agence Shot in Tokio, die eine Fundraising-Kampagne organisierten. Drei Jahre nach der Beschädigung wird die restaurierte Statue wieder enthüllt. Heute jedoch ist der Friedhof neuen urbanen Strukturprojekten zum Opfer gefallen. Nur die Skulptur von Abebe Bikila trotzt den Veränderungen, unbeirrt scheint er seine Strecken zurückzulegen. Ebenso wie die Läufer in Raul Walchs Film In The Loneliness of the Long-Distance Runner (2017), die inmitten der Stadt auf dem Meskel Square – dem zentralen öffentlichen Platz in Addis Abeba – auf den Stufen trainieren, unberührt vom Verkehr, dem Bau der neuen Hochbahn und dem alltäglichen Betrieb rund um den Platz.
Tokio, Japan, und Marathon, Griechenland
Walch verschränkt im Film und der gleichnamigen Installation Bilder aus Addis Abeba mit Aufnahmen aus Tokio, rund um die besagte Olympia-Strecke. Und er reist zurück an den Ursprungsort der läuferischen Disziplin – nach Marathon in Griechenland. Er vermisst Distanzen, die im Sport physisch zurückgelegt werden filmisch, folgt Bewegungen der Menschen, dem Verkehrsfluss in den jeweiligen Städten. Das Überbringen von Nachrichten, das dem Mythos des Marathons zugrunde liegt, löst sich in der Durchkreuzung von Zeit und Raumachsen auf, wenn der Künstler visuell Eindrücke städtischer Strukturen in Addis Abeba, Tokio und Marathon verwebt, die sich ähneln und überlagern. Erkennen und Vergleichen wird zu einer Meditation über das Verbindende zwischen weit entfernten Orten. (...)
Textauszug