NOWs: Space Coordinates by Paul Kuimet / Nina Schuiki
Paul Kuimet / Nina Schuiki: Space Coordinates
Eröffnung: 11. Januar 2018, 17 – 20 Uhr
Ausstellung: 12. Januar – 03. März 2018
Space Coordinates zeigt Werke von Nina Schuiki und Paul Kuimet, die sich als fotografische oder bildhauerische Abfolgen im Raum verdichten. Diese seriellen Resultate verbleiben oft in einer Form von Endlosschleife arretiert oder scheinen sich unendlich zyklisch fortzusetzen. Beiden Künstlern ist ein Interesse an diesen Themen gemein – sie treffen für die Ausstellung Space Coordinates erstmals aufeinander.
Nina Schuiki enthebt in endless candle (2017) eine Kerze ihrer Licht spendenden Funktion und streckt sie soweit, dass sie zu einem Kreis verschmilzt. So entsteht ein heller, semitransparenter Ring aus Wachs mit sichtbarem Docht, in dem die Kerze als Lichtquelle und Zeitmesserin in die Form des Loops verschoben wird. In einer über 12 Meter langen Holzkette, Everything is not lost (2016), reorganisiert Schuiki gefundene Tische und Stühle von den Straßen Shanghais zu einer normierten Aneinanderreihung von Punkten im Raum. Auch hier sind Anfang und Ende miteinander verbunden und das sich dadurch ergebende endlose Band erinnert an die populäre Gebetskette. Die neue Serie Hand (2017) besteht aus abstrakten Fotografien, die Schuiki direkt auf Glas druckt und deren Motive sich als Zufallsbilder von Handykameras herausstellen, die Handinnenflächen zeigen. Das auf taktile Durchlässigkeit konstruierte Portal des Touchscreens verkehrt sich hier zur versperrten Aussicht und gewinnt als fotografische Erscheinung eine ungeahnte Kraft. Schuikis Arbeit erinnert an jene „Bilder aus Versehen”, die Peter Geimer in seinem gleichnamigen Band beschreibt. Die dargestellten Dinge lösen sich in Nahaufnahme auf und stattdessen kommt „das Medium der Darstellung selbst zum Vorschein.” Durch die abstrakte Handinnenfläche ist der Bildschirm weniger durchsichtig, als vielmehr selbst als Glasobjekt (be-)greifbar.
In Paul Kuimets Dia-Projektion Untitled Transparencies von 2017 bleiben die Bilder ebenfalls in ihrem Medium stecken. In Endlosschleife zeigt Kuimet verblendete Fenster an Fassaden der traditionellen Holzhäuser Estlands. Das Fenster als Lichtquelle für den architektonischen Innenraum wiederholt sich im analogen Diapositivrahmen als mediales Fenster, durch den das Licht fällt um ein Bild zu produzieren. Kuimet wirft das Lichtbild neuerlich auf eine Wand und so entstehen Bilder von verblendeten Fenstern als weitere Fenster im Ausstellungsraum. Das Fenster als Fenster als Fenster verharrt so in der Projektorkiste während das Dia-Karussell unaufhörlich weiter im Kreis läuft.
Die als 16-mm schwarzweiß Film entwickelte Arbeit 2060 (2014) schließt hier thematisch an und zeigt eine Plastik des estnischen Künstlers Edgar Viies von 1968. Das Möbiusband der gefilmten Skulptur wird sowohl in dem unendlichen Umkreisen des gefilmten Objekts, als auch im geloopten Filmstreifen, der unaufhörlich durch den Projektor rauscht, reflektiert und erweitert. Die ursprüngliche Plastik von Viies schien im sozialistischen Estland formal auch der Bildhauerei der westlichen Abstraktion verbunden zu sein. Kuimets Film 2060 konserviert sie in diesem Zustand um sich selbst kreisender, konstanter Neuausrichtung auf einer beidseitig einsehbaren Leinwand. Die Betrachter*innen umkreisen das gefilmte Objekt auf der Leinwand. Kuimet verweist hier nicht zuletzt auf die berüchtigte Kritik von Michael Fried an der modernen Skulptur, die er ein Jahr vor Edgar Viies’ Objekt im Jahr 1967 als „Art and Objecthood” formulierte.
Space Coordinates versucht in Nina Schuikis und Paul Kuimets Werken eine Affinität zu den Materialien und Diskursen der architektonischen Nachkriegsmoderne und den Umbrüchen durch fotografische Medien und der damit einhergehenden Neuausrichtung von Skulptur aufzuzeigen. Gleichwohl begegnen beide Künstler diesen Epochen nicht nostalgisch. Vielmehr entwerfen sie einen zeitgenössischen Blick auf die Kunst der 60er und 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts, der programmatisch im Titel eines früheren Werk Schuikis Ausdruck findet: Condensation Modernism.
Kuratiert von Nico Anklam
Paul Kuimet (geb. 1984 in Tallinn) hat Fotografie an der University of Art and Design Helsinki und Kunst an der Estnischen Akademie der Künste in Tallinn studiert. 2017 war er war Teil der Ausstellung Archeology of the Screen am BOZAR Centre for Fine Arts in Brüssel und 2016 Teil des baltischen Pavillons der Architekturbiennale in Venedig. Paul Kuimet hatte Einzel- und Gruppenausstellungen in Institutionen wie dem Contemporary Art Museum of Estonia, Tallinn; Tallinn City Gallery, Tallinn; Kumu Art Museum, Tallinn; Tallinn Art Hall Gallery, Tallinn; Tartu Art Museum, Tartu; Contemporary Art Centre, Riga. 2018 hat Paul Kuimet eine Residenz am WIELS Contemporary Art Centre in Brüssel. Arbeiten von Paul Kuimet sind in Sammlungen wie der Espace Photographique Contretype, Brüssel oder Carousel Colletion, sowie in vielen Privatsammlungen in Estland.
Nina Schuiki (geb. 1983 in Graz) hat Bildende Kunst am Institut für Raumexperimente bei Olafur Eliasson in Berlin und Fotografie an der Universität für Angewandte Kunst bei Gabriele Rothemann in Wien studiert. 2017 war sie Teil der Ausstellung Festival of Future Nows im Hamburger Bahnhof. Nina Schuiki hatte Einzel- und Gruppenausstellungen in Institutionen wie der Neuen Nationalgalerie, Berlin; Museum für Fotografie, Berlin; Villa Romana in Florenz, Mumok, Wien; Gotische Halle, Graz; Künstlerhaus Friese, Hamburg; Paul-Clemens-Museum, Bonn; Fotogalerie Wien, Wien; Space Station, Bejing; Ohla Art Space, Shanghai; 1933 Contemporary, Sanghai; Modern Art Museum, Addis Ababa; NAC Foundation, Rotterdam. 2016 erhielt Nina Schuiki das Recherchestipendium des Senats Berlin und das Projektstipendium des österreichischen Kanzleramts.
Nico Anklam ist Kunsthistoriker und Kurator. Er war Lehrbeauftragter für Kunsttheorie an der Universität der Künste Berlin und hat Ausstellungen u.a. an der Kunsthal 44 Møen, dem Rietveld Pavilion Amsterdam und YEARS Kopenhagen realisiert. Zuletzt entwarf er ein Ausstellungs- und Performanceprogramm um den Fluxus-Komponisten Henning Christiansen, das in Dänemark und Norwegen gezeigt wurde. Aktuell arbeitet er als Fellow einer Forschungsgruppe der Universität Greifswald zur Kunst- und Bildproduktion des 19. Jahrhunderts in Nordeuropa und dessen Kolonien.
Im Rahmen der Ausstellung findet ein öffentliches Gespräch zwischen Paul Kuimet, Nina Schuiki und Nico Anklam statt. Die Botschaft der Republik Estland lädt dazu in ihren Sitz in Berlin-Tiergarten ein, am Freitag, den 12. Januar, um 19 Uhr.
Die Botschaft befindet sich in der Hildebrandstraße 5, 10785 Berlin – etwa 10 Minuten Fußweg von WNTRP. Das Gespräch findet auf Englisch statt.
Mit freundlicher Unterstützung des Cultural Endowment of Estonia und der estnischen Botschaft in Berlin.