20 - 24 July 2016
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Tomas Espinosa: Glory Hole (Nachbarschaftsbeziehungen)
Tomas Espinosa gestaltet seit 2009 wiederholt Installationen und künstlerische Arbeiten mit Spiegelelementen. Seine Installationen stellen dabei häufig das Verhältnis von intimen und Gemeinschaft stiftenden Situationen in den Mittelpunkt. Mit großer Sensibilität für das soziale und emotionale Umfeld schafft er mit Mitteln der Plastik, Möglichkeiten, die zur Reflexion und zum Dialog anregen.
Zwei Arbeitsserien des Künstlers sind vom 22.-24 Juli 2016 in der Universität der Künste Berlin zu sehen: Universität der Künste Berlin (UdK), Hardenbergstr. 33, 10623 Berlin, Raum 84
Rundgang Öffnungszeiten 22.07-24.07.2016; Fr. 13-22 Uhr, Sa. 11-22 Uhr, So 11-20 Uhr
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Glory Hole (Nachbarschaftsbeziehungen)
Tomas Espinosa macht es uns nur auf den ersten Blick leicht. Wir meinen zu wissen, was wir sehen. Das Sehen stellt uns eine Falle: Wir sehen auf Distanz. Wir analysieren das Gesehene mit Abstand. Doch die Arbeiten von Tomas Espinosa zielen auf Anziehung. Wir sind aufgefordert uns zu nähern, in Kontakt zu treten, zu berühren, in Beziehung zu treten: „Ich verstehe meine Arbeit als Reflexion über Begegnungen und die Zeit, die wir dafür benötigen – Zeit zu berühren, Zeit zu sprechen, Zeit zu teilen“, sagt der Künstler.
Damit setzt Tomas Espinosa die Position des Subjekts und dessen Bezogenheit auf seine Umwelt in den Mittelpunkt seiner objektbasierten Installationen. Am deutlichsten wird das in seinen wie Versuchsanordnungen funktionierenden, aus Spiegeln konstruierten, Wahrnehmungsarrangements, die als skulpturale Paravents im Außenraum platziert werden. Ihre besondere Funktion erfährt man erst dann, wenn man sie jeweils als Ergebnisse minuziöser Kontext- und Situationsrecherche versteht, die sich neben dem Bezugsfeld der Sozialreportage im Feld des Künstlerischen positioniert. Der Einsatz der Spiegelinstallationen im öffentlichen Raum – sei es im Park oder im Straßenraum – basiert auf einer vom Künstler vorgeschlagenen Empirie, verstanden als Erfahrung (des Künstlers als auch des Betrachters), die zu einer Hypothese führt oder diese zu bestätigen versucht. Die temporären Standorte im Park, an der Allee, in der Seitengasse wählt Tomas Epinosa gezielt, und markiert städtischen Raum, den verschiedene Bewegungsmuster kreuzen. Dabei interessiert in die Ambiguität der Wahrnehmung und Nutzung solch öffentlicher Räume, die Ambiguität von Wissen und Nicht-Wissen, von Akzeptanz, Erkennen oder Verschleiern, etwa des Cruising im Stadtraum.
„Das Anblicken ist kombiniert mit einer anderen Mobilität; du kannst Nachgehen, du kannst stoppen und vorgeben, in Auslagen zu sehen, du kannst dich auf einer Bank niedersetzen und wieder aufstehen, du kannst draussen in Chiswick landen. Was Cruising genannt wird, ist diese Kombination von Blicken und Bewegungen, welche im geschützten Bereich in der Schwulenbar ablaufen können und ihr angemessenes Territorium draussen in der Stadt finden.“1
Tomas Espinosas installative Serie Nachbarschaftsbeziehungen weiß um die Ästhetik der Ausstattung von Clubs ebenso, wie um die Performativität dieser Bewegungen, des Anblickens und der Camouflage im Außenraum. Es ist ein Spiel, das den Betrachter, der näher tritt, dazu einlädt, sein Verhältnis zum jeweiligen Ort mehrschichtig zu erleben. Die Konstruktion oder Anordnung der Paravents ist nach mehreren Seiten hin offen oder durch kreisrunde Ausschnitte durchlässig und ermöglicht denjenigen, die sich darin oder dahinter befinden, sowohl den nach innen als auch den nach außen gerichteten Blick des Verstecken und des Präsentierens; den Passanten das Flanieren und das voyeuristische Innehalten gleichermaßen.
Michel Foucault beschreibt den Spiegel als einen Ort der Mehrschichtigkeit, der die Definition von Utopie und Heteropie verbindet und die Erfahrungen beider Orte durchmischt:
„Der Spiegel ist nämlich eine Utopie, sofern er ein Ort ohne Ort ist. Im Spiegel sehe ich mich da, wo ich nicht bin: in einem unwirkliche Raum, der sich virtuell hinter der Oberfläche auftut; ich bin dort, wo ich nicht bin, eine Art Schatten, der mir meine eigene Sichtbarkeit gibt, der mich mich erblicken läßt, wo ich abwesend bin: Utopie des Spiegels. Aber der Spiegel ist auch eine Heterotopie, insofern er wirklich existiert und insofern er mich auf den Platz zurückschickt, den ich wirklich einnehme; vom Spiegel aus entdecke ich mich als abwesend auf dem Platz, wo ich bin, da ich mich dort sehe; von diesem Blick aus, der sich auf mich richtet, und aus der Tiefe dieses virtuellen Raumes hinter dem Glas kehre ich zu mir zurück und beginne meine Augen wieder auf mich zu richten und mich da wieder einzufinden, wo ich bin. Der Spiegel funktioniert als eine Heterotopie in dem Sinn, daß er den Platz, den ich einnehme, während ich mich im Glas erblicke, ganz wirklich macht und mit dem ganzen Umraum verbindet, und daß er ihn zugleich ganz unwirklich macht, da er nur über den virtuellen Punkt dort wahrzunehmen ist.“2
Für Glory Hole (Nachbarschaftsbeziehungen) hat Tomas Espinosa diesen Punkt der Abwesenheit doppelt markiert, indem er ein Loch, auf der zentralen Blickachse der sich kreuzenden Blicke liegend, herausgeschnitten hat. Der Durchblick enttarnt, ermöglicht und potenziert. „Ich war immer am Thema von Sexualität und damit zusammenhängenden Tabus in Kolumbien interessiert und habe vor allem mit den Mitteln der Fotografie dazu gearbeitet“, berichtet Tomas Espinosa.
In Berlin führt ihn das Thema zur Untersuchung von Vorstellungen hinsichtlich flüchtiger Objekte im öffentlichen Raum, nicht-normativer Orte und unvorhersehbarer Begegnungen, als auch dem Gemeinschaftssinns der Stadträume definiert. Für Tomas Espinosa eignet sich Berlin hierfür ganz besonders: eine Stadt, die zwischen all ihren Schichten genügend Raum bietet, um auf großzügige Weise offen zu sein. Er nutzt die Durchlässigkeit der städtischen Zonen in Berlin für seine Untersuchungen – mit Hilfe der Skulpturen und mit Mitteln der Fotografie –, und lotet auch die Möglichkeiten der Dokumentation des nicht Dokumentierbaren aus. Die Fotografien verdichten atmosphärisch das Geflecht von Begegnungen, Blicken und Berührung, von Imagination und (Selbst-)Inszenierung. Der Kiez eignet sich den Foucault’schen Mischort von Utopie und Heterotopie, die von Tomas Espinosa materialisierte Ambiguität umgehend an.
Für den Künstler stellen sich Skulptur und Fotografie für seine künstlerisch empirische Vorgehensweise dabei sozusagen als „zeitbasierte Medien“ dar: „Die Kunst stellt diese Terminologie selbst in Frage: die Skulptur ist nicht mehr nur ein Objekt. Der Faktor ‚Zeit’ ist immer gegenwärtig, es kann sich also um einen Moment handeln, scheinbar statisch, ist es etwas, das ich kontinuierlich verändert. Eine Installation, so oft sie auch ausgestellt wird, wird niemals genau die gleiche sein. Für meine Arbeit gilt daher auch immer, einem performativen Aspekt Rechnung zu tragen.“
Christina Werner
1 Zitat: Mark W. Turner: Backward Glances: Cruising the Queer Streets of New York and London, Reaktion Books, 2003. S. 60
2 Michel Foucaul: Andere Räume. In: Barck, Karlheinz u.a. (Hg.), Aisthesis. Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik, Leipzig 1992, S. 38′]
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Tomas Espinosa: Glory Hole (Nachbarschaftsbeziehungen)
Tomas Espinosa gestaltet seit 2009 wiederholt Installationen und künstlerische Arbeiten mit Spiegelelementen. Seine Installationen stellen dabei häufig das Verhältnis von intimen und Gemeinschaft stiftenden Situationen in den Mittelpunkt. Mit großer Sensibilität für das soziale und emotionale Umfeld schafft er mit Mitteln der Plastik, Möglichkeiten, die zur Reflexion und zum Dialog anregen.
Zwei Arbeitsserien des Künstlers sind vom 22.-24 Juli 2016 in der Universität der Künste Berlin zu sehen: Universität der Künste Berlin (UdK), Hardenbergstr. 33, 10623 Berlin, Raum 84
Rundgang Öffnungszeiten 22.07-24.07.2016; Fr. 13-22 Uhr, Sa. 11-22 Uhr, So 11-20 Uhr
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Glory Hole (Nachbarschaftsbeziehungen)
Tomas Espinosa macht es uns nur auf den ersten Blick leicht. Wir meinen zu wissen, was wir sehen. Das Sehen stellt uns eine Falle: Wir sehen auf Distanz. Wir analysieren das Gesehene mit Abstand. Doch die Arbeiten von Tomas Espinosa zielen auf Anziehung. Wir sind aufgefordert uns zu nähern, in Kontakt zu treten, zu berühren, in Beziehung zu treten: „Ich verstehe meine Arbeit als Reflexion über Begegnungen und die Zeit, die wir dafür benötigen – Zeit zu berühren, Zeit zu sprechen, Zeit zu teilen“, sagt der Künstler.
Damit setzt Tomas Espinosa die Position des Subjekts und dessen Bezogenheit auf seine Umwelt in den Mittelpunkt seiner objektbasierten Installationen. Am deutlichsten wird das in seinen wie Versuchsanordnungen funktionierenden, aus Spiegeln konstruierten, Wahrnehmungsarrangements, die als skulpturale Paravents im Außenraum platziert werden. Ihre besondere Funktion erfährt man erst dann, wenn man sie jeweils als Ergebnisse minuziöser Kontext- und Situationsrecherche versteht, die sich neben dem Bezugsfeld der Sozialreportage im Feld des Künstlerischen positioniert. Der Einsatz der Spiegelinstallationen im öffentlichen Raum – sei es im Park oder im Straßenraum – basiert auf einer vom Künstler vorgeschlagenen Empirie, verstanden als Erfahrung (des Künstlers als auch des Betrachters), die zu einer Hypothese führt oder diese zu bestätigen versucht. Die temporären Standorte im Park, an der Allee, in der Seitengasse wählt Tomas Epinosa gezielt, und markiert städtischen Raum, den verschiedene Bewegungsmuster kreuzen. Dabei interessiert in die Ambiguität der Wahrnehmung und Nutzung solch öffentlicher Räume, die Ambiguität von Wissen und Nicht-Wissen, von Akzeptanz, Erkennen oder Verschleiern, etwa des Cruising im Stadtraum.
„Das Anblicken ist kombiniert mit einer anderen Mobilität; du kannst Nachgehen, du kannst stoppen und vorgeben, in Auslagen zu sehen, du kannst dich auf einer Bank niedersetzen und wieder aufstehen, du kannst draussen in Chiswick landen. Was Cruising genannt wird, ist diese Kombination von Blicken und Bewegungen, welche im geschützten Bereich in der Schwulenbar ablaufen können und ihr angemessenes Territorium draussen in der Stadt finden.“1
Tomas Espinosas installative Serie Nachbarschaftsbeziehungen weiß um die Ästhetik der Ausstattung von Clubs ebenso, wie um die Performativität dieser Bewegungen, des Anblickens und der Camouflage im Außenraum. Es ist ein Spiel, das den Betrachter, der näher tritt, dazu einlädt, sein Verhältnis zum jeweiligen Ort mehrschichtig zu erleben. Die Konstruktion oder Anordnung der Paravents ist nach mehreren Seiten hin offen oder durch kreisrunde Ausschnitte durchlässig und ermöglicht denjenigen, die sich darin oder dahinter befinden, sowohl den nach innen als auch den nach außen gerichteten Blick des Verstecken und des Präsentierens; den Passanten das Flanieren und das voyeuristische Innehalten gleichermaßen.
Michel Foucault beschreibt den Spiegel als einen Ort der Mehrschichtigkeit, der die Definition von Utopie und Heteropie verbindet und die Erfahrungen beider Orte durchmischt:
„Der Spiegel ist nämlich eine Utopie, sofern er ein Ort ohne Ort ist. Im Spiegel sehe ich mich da, wo ich nicht bin: in einem unwirkliche Raum, der sich virtuell hinter der Oberfläche auftut; ich bin dort, wo ich nicht bin, eine Art Schatten, der mir meine eigene Sichtbarkeit gibt, der mich mich erblicken läßt, wo ich abwesend bin: Utopie des Spiegels. Aber der Spiegel ist auch eine Heterotopie, insofern er wirklich existiert und insofern er mich auf den Platz zurückschickt, den ich wirklich einnehme; vom Spiegel aus entdecke ich mich als abwesend auf dem Platz, wo ich bin, da ich mich dort sehe; von diesem Blick aus, der sich auf mich richtet, und aus der Tiefe dieses virtuellen Raumes hinter dem Glas kehre ich zu mir zurück und beginne meine Augen wieder auf mich zu richten und mich da wieder einzufinden, wo ich bin. Der Spiegel funktioniert als eine Heterotopie in dem Sinn, daß er den Platz, den ich einnehme, während ich mich im Glas erblicke, ganz wirklich macht und mit dem ganzen Umraum verbindet, und daß er ihn zugleich ganz unwirklich macht, da er nur über den virtuellen Punkt dort wahrzunehmen ist.“2
Für Glory Hole (Nachbarschaftsbeziehungen) hat Tomas Espinosa diesen Punkt der Abwesenheit doppelt markiert, indem er ein Loch, auf der zentralen Blickachse der sich kreuzenden Blicke liegend, herausgeschnitten hat. Der Durchblick enttarnt, ermöglicht und potenziert. „Ich war immer am Thema von Sexualität und damit zusammenhängenden Tabus in Kolumbien interessiert und habe vor allem mit den Mitteln der Fotografie dazu gearbeitet“, berichtet Tomas Espinosa.
In Berlin führt ihn das Thema zur Untersuchung von Vorstellungen hinsichtlich flüchtiger Objekte im öffentlichen Raum, nicht-normativer Orte und unvorhersehbarer Begegnungen, als auch dem Gemeinschaftssinns der Stadträume definiert. Für Tomas Espinosa eignet sich Berlin hierfür ganz besonders: eine Stadt, die zwischen all ihren Schichten genügend Raum bietet, um auf großzügige Weise offen zu sein. Er nutzt die Durchlässigkeit der städtischen Zonen in Berlin für seine Untersuchungen – mit Hilfe der Skulpturen und mit Mitteln der Fotografie –, und lotet auch die Möglichkeiten der Dokumentation des nicht Dokumentierbaren aus. Die Fotografien verdichten atmosphärisch das Geflecht von Begegnungen, Blicken und Berührung, von Imagination und (Selbst-)Inszenierung. Der Kiez eignet sich den Foucault’schen Mischort von Utopie und Heterotopie, die von Tomas Espinosa materialisierte Ambiguität umgehend an.
Für den Künstler stellen sich Skulptur und Fotografie für seine künstlerisch empirische Vorgehensweise dabei sozusagen als „zeitbasierte Medien“ dar: „Die Kunst stellt diese Terminologie selbst in Frage: die Skulptur ist nicht mehr nur ein Objekt. Der Faktor ‚Zeit’ ist immer gegenwärtig, es kann sich also um einen Moment handeln, scheinbar statisch, ist es etwas, das ich kontinuierlich verändert. Eine Installation, so oft sie auch ausgestellt wird, wird niemals genau die gleiche sein. Für meine Arbeit gilt daher auch immer, einem performativen Aspekt Rechnung zu tragen.“
Christina Werner
1 Zitat: Mark W. Turner: Backward Glances: Cruising the Queer Streets of New York and London, Reaktion Books, 2003. S. 60
2 Michel Foucaul: Andere Räume. In: Barck, Karlheinz u.a. (Hg.), Aisthesis. Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik, Leipzig 1992, S. 38′]