NOWs: Andreas Greiner
Andreas Greiner
Algen leuchten bei Berührung blau; Hochleistungshühner aus Mastbetrieben werden mit kurzen, absurd dicken Beinen gezüchtet, um ihren schweren Körper zu halten; ein Tintenfisch in Japan leuchtet in 300 Metern Tiefe, um einen Partner zu finden: Das sind die lebenden Organismen, die das Material von Andreas Greiners Living Sculptures bilden. Statt auf Bewegungen im Meer reagieren dann die Algen auf die Klänge eines automatischen Klaviers, wie in der Installation „From String to Dinosaurs“ (2014), oder sind, wie der leuchtende Tintenfisch, Protagonist des Videos „Studies of an Alien Skin“ (2016), wobei der Künstler die farbenprächtig pulsierende Haut des Tiers in beinahe mikroskopisch anmutender Vergrößerung zeigt. Die eigens für das Video komponierte Musik von Tyler Friedman gibt die sichtbaren Bewegungen auf der Hautoberfläche in akustischer Form wieder.
Es sind diese wunderbaren, zum Teil märchenhaft anmutenden Phänomene der Natur in all ihren faszinierenden Facetten, die Andreas Greiner wissenschaftlich erfasst, in eine künstlerische Sprache übersetzt und so dem Auge des Betrachters zugänglich macht, ja sie mitunter, siehe die Aufnahmen des Tintenfisches, feiert.
Im Rahmen wissenschaftlicher Versuchsanordnungen untersucht Andreas Greiner bestimmte Eigenschaften von Lebewesen und transferiert sie in den Kunstkontext. Die Natur als Ausgangspunkt seiner Arbeit und die naturwissenschaftliche Methodik als seine künstlerische Herangehensweise verbindet sich in den Arbeiten mit einem klaren ästhetischen Anspruch, der tatsächlich die Frage nach einer lebendigen Skulptur nahelegt.
Natürlich vermittelt sich in seiner Arbeit auch die Sorge um das Lebewesen selbst, um das Tier als Teil unserer Welt. Für die „Studie (Porträt), Zur Singularität des Tieres“ (2015) bekam Andreas Greiner den IBB-Preis für Photographie. In dieser Arbeit porträtiert er vier Hühner: den Masthahn Heinrich, der klassisch im Halbprofil fotografiert wird, Karl, von dem es eine Röntgenaufnahme des Skeletts gibt, Elisabeth, die mit einer DNA-Analyse vertreten ist und Margarete, von der er die Aufnahme eines histologischen Schnitts des Brustgewebes zeigt. Dadurch dass die Tiere das anonymisierte Feld der Lebewesen durch die Namensgebung und das klassische Porträtiertwerden verlassen, kritisiert Andreas Greiner hiermit auch die anthropozentrische Sicht, nach der sich der Wert der Natur aus ihrem Nutzen für den Menschen ergibt und verweigert ihr seine Zustimmung.
Im „Monument für die 308“ präsentiert er ein acht Meter hohes Skelett eines Huhns (des Hybridhuhns Ross 308, entstanden nach 308 Kreuzungsversuchen). Die gequälte Kreatur, durch fortwährende Züchtung für ein schnelleres und größeres Fleischwachstum und die Lebensbedingungen in der Massentierhaltung optimiert, bekommt hier ein eindrucksvolles Denkmal gesetzt. Die Übertragung des Skeletts ins Monumentale durch den 3D-Drucker ist ein künstlerischer Akt, dessen Ergebnis vom Betrachter kaum mehr als Huhn erkannt wird, sondern vielmehr wie ein Dinosaurier im Naturkundemuseum identifiziert wird. In ihrer Ausgabe vom 18. November befragt die FAZ den amerikanische Schriftsteller Jonathan Franzen nach seiner Vorliebe für Vögel, und er begründet seine Liebe zu diesen Tieren mit dem ewigen Staunen darüber, dass diese zu den ältesten Lebewesen der Erde gehörten. Ihm sei es nachgerade so, sagt er, als sähe man einem fliegenden Dinosaurier zu. Vom Dinosaurier bis zum Hochleistungshuhn: Andreas Greiner führt in seiner Arbeit eine ästhetische, moralische und wissenschaftliche Auseinandersetzung. Nicht zuletzt geht es dabei auch um die Frage der Erschaffung von Leben – als Künstler oder auch als Wissenschaftler.
Andreas Greiner, geboren 1979 in Aachen, studierte zunächst Medizin und wechselte nach dem Physikum in den Bereich der Kunst, beendete 2013 sein Studium als Meisterschüler von Olafur Eliasson. Er lebt und arbeitet in Berlin und wurde 2016 mit dem GASAG Kunstpreis, verbunden mit einer Ausstellung in der Berlinischen Galerie, ausgezeichnet. 2015 erhielt er den IBB Preis für Photographie. Neben seinem eigenen Werk arbeitet er mit im Künstler-Kollektiv „Das Numen“.